10.01.2023 | Der Geschäftsführer muss selbst zahlen!


von Vanessa Mengelkamp, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Team Compliance


Am 30.03.2022 wurde der Geschäftsführer einer GmbH wegen unter anderem der Missachtung des Vier-Augen-Prinzips zu einer Schadenersatzzahlung in Höhe von 799.235,81 EUR zuzüglich Zinsen verurteilt.

Im Rahmen dieses Urteils hat das Oberlandesgericht Nürnberg grundlegend das System der Haftung des Geschäftsführers besprochen. Insbesondere wurde auf die Pflicht zur Errichtung eines Compliance Management Systems eingegangen und die Aufsichts- und Überwachungspflichten des Geschäftsführers erläutert.

Sachverhalt

Die Klägerin macht Schadenersatzansprüche gegen den Geschäftsführer der Komplementär- GmbH geltend. Der Geschäftsführer habe das Vier-Augen-Prinzip missachtet und so seine Sorgfalts- und Überwachungspflichten verletzt.

Das geschädigte Unternehmen lieferte Mineralölprodukte an seine Kunden und stellte zudem für diese Tankkarten zum bargeldlosen Zahlen bereit. Ein für die Betreuung von Kunden- und Tankkarten zuständiger Angestellter schädigte das Unternehmen durch Untreuehandlungen. Er verschleierte die Überziehung des Kreditlimits der Tankkarten einiger Kunden.
Indem das Vier-Augen-Prinzip für Akquise, Betreuung und Verwaltung von Kartenkunden nicht eingehalten wurde, fielen die Verstöße des Mitarbeiters nicht auf. Dem Unternehmen entstand dadurch ein Forderungsausfall in Höhe von 788.933,31 EUR.

Das Oberlandesgericht entschied, dass der Geschäftsführer der Beklagten haftbar ist und für den Schaden aufkommen muss. Der Geschäftsführer muss nun selbst für den Forderungsausfall und die Rechtsverfolgungskosten aufkommen, also zusammen 799.235,81 EUR zuzüglich Zinsen an die Klägerin zahlen.

Begründung des Gerichts

Grundsätzlich haftet der Geschäftsführer, der seine Obliegenheitspflichten verletzt der Gesellschaft gegenüber für den entstandenen Schaden (§ 43 Abs. 2 GmbHG).
Den Umfang der Pflichten, die den Geschäftsführer treffen, konkretisiert das Gericht weiter mit Hilfe von § 43 Abs. 1 GmbHG, wonach der Geschäftsführer in Angelegenheiten der Gesellschaft stets die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden hat.

Zudem wird auf die sog. business judgment rule, die in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG normiert ist, Bezug genommen. Nach dieser Regel liegt keine Pflichtverletzung vor, wenn der Geschäftsführer bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Der Handlungsspielraum ist jedoch überschritten, wenn aus der Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmannes das hohe Risiko eines Schadens unabweisbar ist und es keine vernünftigen geschäftlichen Gründe dafür sprechen es dennoch einzugehen.
Dies trifft besonders dann zu, wenn das Handeln gegen die in der jeweiligen Branche anerkannten Erkenntnisse und Erfahrungsgrundsätze verstößt. Diese Regelung findet für die GmbH entsprechende Anwendung.

Die Sorgfaltspflicht des Geschäftsführers lässt sich zu einer Unternehmensorganisationspflicht konkretisieren. Der Geschäftsführer muss eine interne Organisationsstruktur schaffen, die rechtmäßiges und effizientes Handeln gewährleistet.
Das Unternehmen muss so organisiert werden, dass der Geschäftsführer stets einen Überblick über die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens hat.
Dazu bietet es sich an ein Überwachungssystem einzurichten, mit dem Risiken erfasst und kalkuliert werden können.

Mit Blick auf die Legalitätspflicht ergibt sich sogar eine Verpflichtung ein Compliance Management System einzurichten. Es müssen organisatorische Vorkehrungen getroffen werden, die die Begehung von Rechtsverstößen durch die Gesellschaft oder deren Mitarbeiter verhindern. Sofortiger Handlungsbedarf besteht dann, wenn sich Anhaltspunkte für Fehlverhalten ergeben.

Werden den Mitarbeitenden durch unzureichende Organisation, Anleitung oder Kontrolle Straftaten oder sonstiges Fehlverhalten erleichtert beziehungsweise ermöglicht, stellt dies eine Pflichtverletzung dar für die der Geschäftsführer einstehen muss.

Das bedeutet für die Praxis, dass eine Kontrolle nicht erst dann einsetzen darf, wenn bereits Missstände bekannt geworden sind. Den Unternehmensangehörigen soll vor Augen gehalten werden, dass Verstöße entdeckt und geahndet werden können. Stichprobenartige überraschende Kontrollen können dazu ausreichen, wenn sie den gewünschten Zweck ebenso erreichen. Die äußere Grenze finden die etwaige Aufsichtsmaßnahmen bei ihrer objektiven Zumutbarkeit. Konkret in der Wahrung des Betriebsklimas, der Würde der Betriebsangehörigen und der Eigenverantwortlichkeit dieser.

Der Geschäftsführer kann die Überwachungspflicht an die ihm unmittelbar Unterstellten delegieren. In jedem Fall bleibt aber die Oberaufsicht beim Geschäftsführer selbst. Hier hat das Vier-Augen-Prinzip seinen Anwendungsbereich.

Bedeutung für die Praxis

Das praktisch dennoch sehr bedeutsame Prinzip lässt sich ohne erheblichen Aufwand in die Organisationsstrukturen integrieren. Die Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips allein schützt jedoch nicht vor Haftungsrisiken durch Compliance Verstöße. Daher sind risikospezifische und individuell abgestimmte Vorgaben hinsichtlich des Compliance-Management-Systems notwendig. Der Geschäftsleiter muss eine Organisationsstruktur schaffen, mit der die Rechtmäßigkeit des Handelns des Unternehmens kontrollieren und Pflichtverletzungen vermeiden werden können. Die konkrete Ausgestaltung und Umsetzung dessen liegt in seiner Verantwortung.


Vanessa Mengelkamp
Team Compliance


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Martin März
Rechtsanwalt Martin März | Silberthal Unternehmensgruppe