25.09.2019 | Der Europäische Gerichtshof und die Zeiterfassung


Am 14.05.2019 erließ der Europäische Gerichtshof im Rahmen eines sogenannten Vorabentscheidungsverfahrens ein deutschlandweit viel beachtetes Urteil aus dem Bereich des Arbeitsrechts.

Wie der medialen Berichterstattung richtigerweise zu entnehmen war, befasste sich der EuGH in diesem Urteil mit der Verpflichtung der Arbeitgeber innerhalb der Europäischen Union zur Erfassung der Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer.

Soweit hier dann von der „Rückkehr zur Stechuhr“ oder der „Abschaffung der Vertrauensarbeitszeit“ die Rede gewesen war, handelte es sich dabei jedoch um ein fehlendes Verständnis des angesprochenen Urteils bzw. jedenfalls um sehr gewagte Prognosen.

Was hat der Europäische Gerichtshof überhaupt entschieden?

Zunächst ist es nicht möglich, anders als dies der eine oder andere Artikel suggerierte, dass der Europäische Gerichtshof einem deutschen Arbeitgeber unmittelbar Pflichten auferlegt.

Er hat aber die Möglichkeit, festzustellen, dass eine Rechtsvorschrift eines Mitgliedsstaates mit Vorschriften der Europäischen Union nicht vereinbar ist. Eine solche Frage der Vereinbarkeit von nationalen Normen mit Vorschriften der Europäischen Union können Gerichte im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens an den Europäischen Gerichtshof stellen und tun dies in großer Regelmäßigkeit.

Der Sachverhalt, der der Entscheidung C – 55/18 zugrunde lag, war nun jener, über den der nationale Gerichtshof in Spanien zu entscheiden hatte. Hier klagte eine spanische Gewerkschaft mit dem Ziel, die Deutsche Bank zu verpflichten, die täglich geleisteten Stunden der Arbeitnehmer vollständig aufzuzeichnen. In Spanien ist die Arbeitszeiterfassung gesetzlich ähnlich wie in Deutschland geregelt; unser Arbeitszeitgesetz schreibt lediglich vor, dass die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit zu erfassen ist, womit nach allgemeinem Verständnis Überstunden sowie die Arbeit an Sonn- und Feiertagen gemeint ist.

Da europäische Richtlinien nun vorschreiben, dass alle Mitgliedsstaaten dafür zu sorgen haben, dass Arbeitgeber die Mindestruhezeiten und die Vorschriften über die Höchstarbeitszeit einhalten, warf der nationale Gerichtshof in Spanien die Frage auf, ob bzw. wie sich die europäischen Richtlinien mit ihren hoch gesteckten Zielen auf der einen Seite mit den tatsächlichen Regelungen über die Arbeitszeit in Spanien vereinbaren lassen.

Der Europäische Gerichtshof urteilte nun wenig überraschend, dass effektive Zeiterfassung ohne entsprechende Systeme gar nicht möglich sei. Er befindet sich damit auf einer Linie mit führenden deutschen Arbeitsrechtlern, die seit vielen Jahren die Frage stellen, wie ein Arbeitgeber in der Lage sein soll, Überstunden zu erfassen, ohne gleichzeitig die Arbeitszeit im Allgemeinen zu erfassen.

Der Europäische Gerichtshof führte aus, dass es also Sache des nationalen Gesetzgebers sei, dafür Sorge zu tragen, dass die Vorschriften über die zulässige Höchst- oder Mehrarbeit von den Arbeitgebern eingehalten werden.

Nicht unerwähnt bleiben soll dabei, dass terminologisch klar differenziert werden muss, was den Begriff Mehrarbeit angeht. Dieser wird nämlich regelmäßig gleichbedeutend mit dem der Überstunden verwendet, teilweise meint er jedoch die Überschreitung der zulässigen Höchstarbeitszeit. Möglich ist etwa, dass jemand über längeren Zeitraum Überstunden leistet, gleichwohl aber nicht gegen die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes verstößt, wie auch der umgekehrte Fall denkbar ist, dass jemand innerhalb eines bestimmten Zeitraumes Überstunden leistet, gleichwohl zu keinem Zeitpunkt die zulässige Höchstarbeitszeit überschreitet.

Welche Bedeutungen hat das Urteil für die deutschen Arbeitgeber und Arbeitnehmer?

Der deutsche Gesetzgeber hat nun die Aufgabe, das Urteil des Europäischen Gerichtshofes umzusetzen. Er ist dabei an keine Frist gebunden, so dass sich kaum prognostizieren lässt, ob eine solche Umsetzung innerhalb dieser oder erst der nächsten Legislaturperiode passieren wird.

Vor dem Hintergrund, dass die deutschen Arbeitgeber auch in der Vergangenheit bereits verpflichtet gewesen sind, Überstunden zu erfassen und eine solche Erfassung denklogisch nicht ohne eine allgemeine Erfassung der Arbeitszeit möglich ist, ließe sich bereits die Frage aufwerfen, was sich denn in rechtlicher Hinsicht überhaupt bedeutend geändert hat.

Eine Rückkehr der Stechuhr muss in Zeiten ausgeklügelter EDV-Systeme, Smartphones und entsprechenden Apps sicher nicht befürchtet werden (wenngleich die Thematik sicher Fragen aus dem Datenschutzrecht aufwerfen wird).

Auch eine Abkehr von der Vertrauensarbeitszeit wird es nicht geben. Vertrauensarbeitszeit bedeutet nicht, dass der Arbeitnehmer kommt und geht, wann er will, sondern dass dem Arbeitnehmer eine gewisse Freiheit bei der Entscheidung zukommt, welche Aufgaben er wann erledigen möchte. Dass sein Arbeitgeber weiß, wann er kommt und wann er geht, steht dieser Freiheit nicht im Wege.

Wichtig für das Verständnis des Urteils des Europäischen Gerichtshofes ist insbesondere, dass der Europäische Gerichtshof nur die öffentlich-rechtlichen Pflichten des Arbeitgebers behandelt hat. Die Frage, wer die Leistung von Überstunden in einem Prozess zu beweisen hat, durfte und wurde nicht durch den Europäischen Gerichtshof entschieden. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes, die in Ermangelung eines entsprechenden Gesetzes allein maßgebend ist, trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Entstehung von Überstunden. Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer penibel vortragen muss, wann er welche Überstunde geleistet hat und warum er diese geleistet hat.

Nun ist es durchaus naheliegend, anzunehmen, dass die deutschen Arbeitsgerichte zukünftig davon ausgehen, dass diese Darlegungs- und Beweislast zukünftig den Arbeitgeber treffen wird, der ja ohnehin verpflichtet ist, die Daten zu erfassen.
Möglicherweise steht dem Arbeitnehmer zukünftig auch einfach das Recht zu, die Arbeitszeiterfassung des Arbeitgebers von diesem heraus zu verlangen, wie es Kraftfahrer bereits seit einiger Zeit nach § 21 a Abs. 7 Arbeitszeitgesetz tun können.
Dass jedoch nach der noch zu schaffenden neuen Rechtslage der Arbeitnehmer überhaupt nicht in den Genuss der durch den Arbeitgeber angefertigten Zeiterfassung kommt, darf als fernliegend angesehen werden.

RA Johannes Burhorst

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